Goethes
Faust
Vergleichende
Charakterisierung Faust und Famulus Wagner
Allgemeines:
Bei
diesen beiden Personen in Goethes "Faust" handelt es sich
um Gelehrtentypen, die unterschiedlicher nicht sein können. Goethe
hat ganz bewusst die unterschiedlichen Charakter benutzt, um die
Vielfältigkeit der damaligen literarischen Geisteshaltung sowie
Wissenschaft entsprechend darzustellen.
Faust
repräsentiert die sogenannte pansophisch-naturmystische Geistigkeit
des 16. und 17. Jahrhunderts, die sich mit dem ganzheitlichen Ansatz
der Denk- und Empfindungsweise des Sturm und Drang (auch Geniezeit
oder Genieperiode;
bezeichnet eine Strömung der deutschen Literatur in der Epoche
der Aufklärung
von 1765 bis 1785) berührt.
Sein
Assistent (Famulus = Diener) Wagner hingegen verkörpert die
humanistisch-rhetorische Gelehrsamkeit des 16. Jahrhunderts, die
abstrakt gehandelt, ihren Pendant im Fortschrittsglauben sowie im
enzyklopädischen Eifer der Aufklärung findet.
Zitat
Goethes im Jahr 1800 skizzierten Schema zu Dr. Faust:
Ideales
Streben nach Einwirken und Einfühlen in die ganze Natur."
"
und
zu Famulus Wagner:
Helles,
kaltes wissenschaftliches Streben."
"
Charakteristik:
Dr.
Heinrich Faust, der im Drama "Faust" vom J.W. von Goethe
als Wissenschaftler dargestellt wird hat alle Fakultäten bzw.
Wissenschaften, die es damals gab studiert. Es handelt sich hierbei
um Philosophie, Jura, Theologie und Medizin. Ein breit gefächertes
Spektrum, welches Dr. Faust mit einem enormen Wissen ausstattet
(Verse 354-356). Jedoch ist dieser mit dem errungen Wissen nicht
zufrieden (Vers 370), da er mehr wissen möchte als die eigentliche
Wissenschaft aussagt und er somit über das Erfassungsvermögen eines
rational denkenden Menschen hinausgehen möchte.
Sein
gelehriger Schüler, Famulus Wagner, ist ebenfalls sehr wissbegierig
und möchte selbst von Faust und vor allen Dingen aus Büchern
lernen, um so klug zu werden wie sein Vorbild.
Die
weiteren Unterschiede kommen dann während des Spaziergangs Faust mit
Wagner zutage. Auf einem Berg machen sie Rast und Dr. Faust quälen
die Vorwürfe, weil seine Arznei zu Zeiten der Pest, die er den
Kranken verabreichte in Teilen nicht half und somit diese tötete
statt heilte (ein deutlicher Zweifel an die medizinische Wissenschaft
sowie an sich selbst; Vers 1055 u. 1056). Faust schwärmt von der
Abendsonne, die er bewundert und personifiziert, da er sie als Förder
des Lebens kennzeichnet (Vers 1072-1074). Seine Bewunderung schwenkt
um in Sehnsucht, der Sonne zu folgen, um die Stille und Ruhe dieser
für immer genießen zu können (Vers 1075-1076). Bei diesen Aussagen
bedient sich Goethe den Empfindungen und Sehnsüchten aus der
literarischen Epoche des Sturm und Drang, die Anklang zu Inhalten des
"Werther" finden. Die Steigerung bildet die Aussage Fausts,
dass er die Sonne als Göttin (Vers 1089) bezeichnet bzw.
glorifiziert und hiermit die Verbundenheit Fausts zur Sonne
verdeutlicht werden soll, die ihm letztendlich Trost spendet und von
seinen schlimmen Selbstvorwürfen ablenkt. Durch die laufende
Personifizierung von Natur im Drama (hier: Sonne, Berge und Meer)
wird deutlich, dass die Natur für Faust keinen materiellen Wert
besitzt, sondern diese Naturerscheinungen wirkende und geistige Wesen
für ihn darstellen.
Famulus
Wagner hingegen interessiert die Natur weniger bzw. gar nicht. Fausts
Schwärmerei kann oder will er nicht folgen, so bezeichnet er die
Sonne gar als "grillenhaft" (Vers 1100). Die Lebensfreude
und Schönheit entsteht für ihn ausschließlich in der kargen Umwelt
beim Lesen von Büchern, aus denen er sein Wissen schöpft (Vers
1104-1105). Mit dieser Mitteilung an den Leser stellt Goethe Wagner
als nackten Rhetoriker bzw. Theoretiker dar, dem es zudem wichtig ist
mit diesem angelesenen Wissen wichtig und gebildet zu wirken (s. dazu
die Aussage eines Zitates von Hippokrates; Vers558 - 559). Er ist
also nicht bereit bzw. bemüht selbstständig etwas zu entdecken oder
zu erforschen sondern geht immer vom Vorliegenden bzw. Gelesenem aus.
Wagners Lebenssinn besteht einfach nur darin, Bücher zu lesen, um
sich das Wissen anderer Menschen (z.B. Dr. Faust) anzueignen.
Dr.
Faust besitzt dieses von Famulus Wagner angestrebte universelle
Wissen bereits und hat trotzdem noch keine Antwort darauf gefunden ,
wie diese Naturwunder entstanden sind. Dieses wird deutlich an der
Aussage im Vers 382-383: "Daß ich erkenne, was die Welt im
Innersten zusammenhält." Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens
zw. der Wissenschaften wendet Dr. Faust sich schließlich der Magie
zu und bittet im Weiteren die Geister um ein besseres Leben aus
seiner Sichtweise erhoffen zu können. Der Zwiespalt in seinem Leben
könnte nicht besser dargestellt werden. Die Fähigkeit
übermenschliche Wesen zu erfassen kommt ganz deutlich zu Tage in der
Szene mit dem Pudel, in der Faust sofort merkt, dass dieses kein
gewöhnliches Tier ist (Vers 1158-1159; "Mir scheint es, dass er
magisch leise Schlingen zu künftgem Band um unsere Füße zieht."
Hier erkennt Dr. Faust bereits die Gefahr, die vom Tier ausgeht,
welches ihn umschlingt und fesselt. Vielleicht ahnt er bereits die
Unfreiheit, die ihn im zukünftigen Umgang mit Mephisto widerfahren
wird. Trotzdem lässt sich Faust in diesem Fall von Wagners
rationellem Denken überzeugen, da dieser der Meinung ist, dass es
sich hierbei um einen gewöhnlichen Hund handelt.
Das
Gegenteil in Bezug auf das Erkennen bzw. Glauben an eine Geisterwelt
spiegelt sich bei Wagner wieder. Er hingegen hat keine Beziehung zur
Geisterwelt. Er bezeichnet die Geister als Gefahr für die Menschen
(Z. 1128), die die Menschen töten um selber zu leben (Z. 1132) und
vortäuschen, gut zu sein, in Wahrheit jedoch lügen und falsch sind
(Z. 1141). Als er mit Faust Mephisto im Körper eines Pudels
entdeckte, merkte er im Gegensatz zu Faust nicht, dass es sich bei
dem Hund nicht um ein Tier, sondern um einen bösen Geist handelt:
"Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel." (Vers 1156).
Wagner dementiert nicht, dass es böse Geister gibt, er ist jedoch
nicht in der Lage sie zu erkennen. Die rationale und abstrakte
Denkweise des Gehilfen kommt hier deutlich zum Ausdruck.
Faust
ist also ein universell gebildeter Mensch, der nach noch Höherem
strebt. Ihm reicht es nicht, zu lernen was andere erforschten,
sondern möchte dies selber übernehmen. Seine Verbundenheit zur
Natur, sein Glauben daran, dass jede Naturerscheinung einen geistigen
Hintergrund hat und das festgestellte Versagen der Wissenschaft im
Bezug auf seine Frage nach dem Kern der Erde bringen ihn dazu, sich
der Magie hinzugeben. Er ist in der Lage mit Geistern zu
kommunizieren, die erhoffte Erkenntnis bringt ihm dies jedoch nicht.
Dies und seine widersprüchlichen Wünsche zum einen nach irdischen
Freuden und zum anderen nach der Erkenntnis und dem Geisterreich
lassen ihn verzweifeln.
Der
rational denkende Wagner kann die Unzufriedenheit Fausts nicht
verstehen. Er strebt ebenso wie Faust nach der Erfassung von
Gegebenheiten, jedoch entnimmt er das angestrebte Wissen Büchern und
befragt Wissenschaftler wie Faust um einmal den gleichen Wissensstand
zu erreichen. Weder mit der Natur noch mit dem Geisterreich kann er
etwas anfangen und es ist ihm sehr wichtig, auf andere Menschen
gebildet zu wirken.
Der
Forscher (Dr. Faust) und der ewig strebende Student (Wagner), so oder
anders könnte man die unterschiedlichen Gelehrtentypen mit ihrem
entsprechenden Charakter titulieren.
Faust,
der ein Leben lang geforscht und studiert hat, gehört zu den
gelehrtesten Männern seiner Zeit. Er achtet alle Menschen, ob
einfache oder studierte und ist bei ihnen sehr beliebt. Er ist
ständig auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und des Menschseins.
Er
ist der Natur sehr verbunden und betrachtet die Dinge mit dem
dazugehörigen Gefühl und will, weil eben Wissenschaftler und
Forscher alles verstehen, auch wenn es sich um Übersinnliches
Handelt und er es trotzdem nicht beweisen kann. Er lebt zudem
bescheiden und zurückgezogen. Nachdem er sich alles irdische
angeeignet hat, möchte er sein Wissen mit Magie erweitern und geht
den Pakt mit Mephisto ein, den er fühlt sich selbst in dem was er
gelernt hat bwz. lehrt, gefangen.
Famulus
Wagner ist das Gegenteil zu Dr. Faust. Er ist ein gelehriger Schüler
von diesem und bewundert ihn wegen seines großen Wissens. Er selbst
ist aber nur bestrebt dieses Wissensniveau seines Meisters zu
erreichen, um entsprechend bewundert zu werden.
Sein
Lebenssinn ist daher nicht das Begreifen oder gar die Erforschung von
Neuem, sondern das Abgreifen von Wissen aus Büchern, welches andere
Menschen erworben haben und in diesen darstellen. Er kennt daher
lediglich nur die Theorie und weiß eigentlich gar nichts vom Leben
außerhalb seiner "Bücherwelt".
Zudem
befasst er sich weder mit den Menschen oder den Gefühlen noch mit
der Natur. Für Wagner ist es nur von Bedeutung wichtig auf die
Menschen bzw. gebildet zu wirken. Wagner besitzt somit lediglich eine
rein rationale Welterkenntnis, denn er folgt nicht dem Gefühl seines
Herzens.
Der
ausschlaggebende Unterschied zwischen den beiden ist, dass Faust nach
wahrer Erkenntnis und Vollkommenheit sowie Erfüllung seines Lebens
strebt, Wagner hingegen versucht lediglich nur das irdische Wesen zu
begreifen, verfügt aber nicht über ein tiefes inneres Streben nach
eigenem Forscherdrang und vernachlässigt die Gefühlswelt.
Die
Gelehrtentypen Wagner und Faust
Wagner
|
Faust
|
weltfern
(V 531); naturfern (V 1100), volksfern
(V 944) |
möchte teilhaben an der Welt (V 464), der Natur (V 423, 1070), am Menschenleben (V 940) |
traditionsgläubig (V 563, 1108); wissenschaftsgläubig (V 601) | skeptisch gegenüber Tradition, Wissenschaft u. Glauben (V 364, 568, 577 u. 765); drängt nach unmittelbarer Wesensschau (V 382) und dürstet nach Erfahrung, Erleben von Freud und Leid (V 464) |
Menschheitsoptimist | Menschheitspessimist |
rationale
und abstrakte Verstandesweise, d.h. er setzt Geist und Verstand
vor Gefühl
|
Gefühl, Herz und Seele |
Stubengelehrsamkeit und trockener Rationalismus | Streben nach existentiellen, ganzheitlichen Erfahrungen (Pansophie) |
Bücherweisheit | Skepsis gegenüber reiner Bücherweisheit |
Helles, kaltes wissenschaftliches Streben | Ideales Streben nach Einfühlen und Einwirken in die Natur |
Verehrung der Wissenschaft | Suche nach dem Kern der Wissenschaft |
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