Vorwort
zum Faust - Eine Tagödie
Allgemeines:
"Mein
fernes Leben kann ich nunmehr als ein reines Geschenk ansehen, und es
ist jetzt im Grunde einerlei, ob und wann ich noch etwas tue."
(Goethe im Mai 1831).
So
lautet Goethes eigenes Urteil als dieser zehn Monate vor seinem Tod
den zweiten Teil seines "Faust" abgeschlossen hatte. Dieses
Meisterwerk, welches ihn über einen Zeitraum von 60 Jahren begleitet
hatte (Urfaust um 1770 entstanden - Faust 1. Teil 1803
abgeschlossen), war ursprünglich ein Volksbuch und Puppenspiel
gewesen und wurde durch ihn zur berühmtesten Dichtung der deutschen
Literatur - gar zu einem Glanzlicht der Weltliteratur.
Denn
mit diesem dramatischen Werk, in dessen Mittelpunkt der nach
unbedingter Erkenntnis strebende Wissenschaftler Faust steht, gelang
Goethe ein noch heute allgemein gültiges Gleichnis menschlichen
Lebens, welches jeder Zeitströmung widerstand. Vor allem die
modernen Bühneninterpretationen der Faust-Tragödie geben den
individuellen Charakter dieses Stückes wider. Zudem fanden sehr
viele Passagen dieses Werkes Eingang in den deutschen Sprachschatz
und belegen nachhaltig seine nach wie vor ungebrochene Popularität.
Quelle:
Johann
Wolfgang Goethe, Faust Eine Tragödie, Erster und zweiter Teil,
Deutscher Taschenbuchverlag, 13. Auflage 2012
Die
Gretchenfrage - Herkunft des Begriffs:
Der Ausdruck Gretchenfrage
erfüllt als zusammengesetztes Wort Merkmale eines Idioms,
das heißt, er ist zum festen begrifflichen Bestandteil der Sprache
geworden (lexikalisiert) und erschließt gleichzeitig seine Bedeutung
nicht durch seine einzelnen Wortelemente.
Die Herkunft des Begriffs ist in
Goethes Faust (Tragödie 1 Teil , Vers 3415) verankert. Hier findet
sich eine Frage Gretchens, mit der sie Genaueres über Fausts
religiöse Zugehörigkeit erfahren möchte. Da dieser sich einerseits
dem Teufel verschrieben hat und er andererseits Gretchen erobern
möchte, gerät er - die Antwort betreffend - in einen
Gewissenskonflikt.
Idiom
Dieser
Wortlaut entstammt dem Griechischen und steht für Mehrdeutigkeit. Im
o.g. Fall handelt es sich um einen idiomatischen Sprachgebrauch, d.h.
einer Redewendung, die nur im deutschen Sprachgebrauch einen Sinn
ergibt.
Bedeutung
der Gretchenfrage:
Von dieser Szene im Faust leitet
sich die heutige Bedeutung der Gretchenfrage ab, sie bezeichnet eine
Gewissensfrage, die vom Befragten nicht gerne beantwortet wird.
Zudem ist typisch für eine
solche Frage, dass derjenige, der sie ausspricht, damit den Kern
eines Sachverhaltes trifft und mit der Antwort eine eindeutige
Stellungnahme des Befragten zu einem Thema verlangt, das unter
Umständen für ihn eine unangenehme oder zwiespältige Bedeutung
hat.
Das Gretchen im Faust spürt
einen Widerspruch in Fausts Verhalten und ist misstrauisch gegenüber
seinen Absichten geworden. Durch seine Frage möchte das junge
Mädchen vermeiden, dass es auf einen zweifelhaften Bewerber
hereinfällt. Die Gretchenfrage beinhaltet auch in seiner Bedeutung
für den Sprachgebrauch, dass sie in Momenten der Entscheidung
gestellt wird, da der Fragende sich vor einem „blinden in die Falle
tappen“ schützen möchte.
Interessantes Merkmal der
Gretchenfrage ist übrigens, dass Sie nicht unbedingt beantwortet
werden muss, um dem Fragesteller im Bezug auf seinen Zweifel Klarheit
zu verschaffen, da ein Herumdrücken um eine ehrliche Antwort Hinweis
genug sein kann
Faust
1 - Die Gretchenfrage
(Marthens
Garten - Verse 3414 - 3543)
„Faust“
ist eine von Johann Wolfgang Goethe verfasste Tragödie, bestehend
aus zwei Teilen. Das Grundthema ist der unersättliche Wunsch des
Menschen nach der absoluten Erkenntnis. Heinrich Faust ist ein
angesehener Wissenschaftler, jedoch fehlt es ihm an Erkenntnis.
Geleitet von seiner Verzweiflung verspricht er dem Teufel seine
Seele, wenn es diesem gelingen sollte, ihn zur Erkenntnis zu führen.
So nimmt die Geschichte ihren Lauf und Faust wird wieder in einen
jungen Mann zurück verwandelt. Kurze Zeit darauf lernt er
Margarethe, genannt "Gretchen", kennen und wird in eine
tragische Liebesgeschichte, der sogenannten "Gretchentragödie",
verwickelt. Den Mittelpunkt dieser Tragödie stellt die
"Gretchenfrage" im Vers 3415 dar:
Gretchen
an Faust: "Nun sag, wie hast du`s mit der Religion".
Mit
dieser Frage quält Goethes Gretchen ihren Geliebten und dieser weis
darauf keine rechte Antwort. Da Margarethe selbst sehr gläubig und
religiös ist hofft sie, dass ihr Geliebter ebenfalls an die Religion
glaubt aber während des Gesprächs zur Erkenntnis kommt, dass Faust
nicht so viel davon hält ("Allein ich glaub, du hältst nicht
viel davon", - Vers 3417). Der Universalgelehrte versucht im
weiteren Verlauf des Gespräches den Fragen Margarethes aus dem Weg
zu gehen. Seine unmittelbare Reaktion ist dann auch typisch für
heutige moderne Befindlichkeiten: "Lass das mein Kind !".
Über die Kirche bzw. die Religion, und dieses war zu Goethes Zeiten
gegeben, spricht man nicht. Dieses ist Privatsache und zwar so sehr,
dass sie nicht einmal die Intimität zwischen zwei sich liebenden
Menschen tangiert. Trotzdem indiziert diese Szene einen nicht zu
unterschätzenden bzw. fortschrittlichen Wandel im Umgang mit der
Religion, da das Zeitalter der Aufklärung seine Spuren hinterlassen
hat und somit nicht mehr die Frage nach dem rechten Glauben den
Diskurs dominiert, sondern die nach der Stellung des Menschen zum
Phänomen des Religiösen überhaupt.
Faust
zweite Reaktion weist der Religion einen Platz zu, der ihre
Verbindlichkeit abspricht: !" Du fühlst ich bin dir gut; Für
meine Lieben ließ ich Leib und Blut/ Will niemand sein Gefühl und
seine Kirche rauben." Hier versucht Faust eine Toleranz
aufzubauen indem er gegenüber Gretchen aussagt; jeder soll glauben
und im Glauben fühlen wie er kann und will. Im Grunde genommen
möchte er keine Auseinandersetzung mit dem rechten Glauben,
beansprucht aber gleichzeitig für sich selbst ethisch, moralisch
Maxime wie der Liebe bzw. das Liebesgebot.
Die
vielen Ausweichmanöver treiben Gretchen letztendlich dazu, die für
sie entscheidende Frage zu stellen: "Glaubst du an Gott?".
Mit dieser Frage bringt Gretchen Faust in eine Zwickmühle und er tut
alles, um auch diese, gerade diese Frage nicht beantworten zu müssen.
Im Grunde möchte er sie vom Tisch haben, da in Dingen der Religion
aus seiner Sichtweise keine Auskunftspflicht besteht. Für Faust ist
somit der Glaube nicht kommunizierbar eher eine Art Lippenbekenntnis.
Der Glaube selber ist stumm. Dieser Radikalität seiner
Glaubensauffassung kann er gegenüber Gretchen nicht äußern, da die
Frage nach der Religion auch im weiteren Sinne eine Frage nach dem
Stellenwert der Werte ist, nach der ein Mensch zu leben vermag.
Somit umkreist er diese Frage mit philosophischen Ansätzen.
Zunächst einmal stellt er die Frage der Legitimität nach Gott zur
Disposition - "Wer darf ihn nennen ?"/Und wer bekennen:/Ich
glaub` ihn ! ... und flüchtet sich im Weiteren in die Beschwörung
von Empfindungen "Nenn`s Glück! Herz !Liebe! Gott!/ Ich habe
keinen Namen/Dafür! Gefühl ist alles".
Gefühl
ist alles ! - Es scheint so, als ob Faust an dieser Stelle eine
romantisch gefärbte Religiösität antizipiert. Er repräsentiert
aber auch eine moderne, pantheistisch angehauchte Vernunftreligion,
mit der wohl Goethe ebenfalls kokettiert hat. Faust verinnerlicht in
seinen Aussagen keinen persönlichen Gott, keine Konfession, keine
Glaubensgemeinschaft, keine Kirche und damit verbunden eine fehlende
sittliche Weltordnung, womit er eindeutige atheistische Züge
aufweist. Gleichermaßen versucht er aber das Gefühl der
Allverbundenheit sowie eine Übereinstimmung mit dem Weltganzen
aufzuzeigen (Streben nach Pantheismus) und nachdem er letztendlich
auch als Wissenschaftler strebt mit dem eindeutigen Ziel, die
vierzehnjährige Margarethe zu verführen.
Die
Kindfrau bleibt zunächst hartnäckig. Sie lässt sich von den
gewundenen Äußerungen des Gelehrten nicht irritieren. Und dies
nicht nur, weil sie spürt, das Faust schwindelt sondern auch, weil
sie intuitiv Fausts Wortschwall schlichtweg als Ausweichmanöver
interpretiert. Aufgrund der Schwammigkeit seiner Antworten ist ihre
logische Schlussfolgerung: "Du hast kein Christentum".
Zusammenfassung:
Faust
wusste auf Gretchens Frage keine rechte Antwort. Er wollte ihr ihren
Glauben nicht nehmen und aufklären wollte er sie ebenfalls nicht.
Dieses Dilemma in dem er sich befindet erinnert an Haltungen, die man
heutzutage gerne als tolerant empfindet, da man klare Antworten
umgeht und den Fragenden auf sich allein gestellt lässt. Faust
letztendlich ließ die Antworten im Raume stehen und machte sich
unter Mitwirkung des Teufels ans Werk der Verführung.
Sprichwörtlich
aber wurde die "Gretchenfrage", weil sie sich an jede
Generation neu wendet, da sie immer wieder herausfordert, über sich
selbst Rechenschaft abzulegen, nach welchen Kriterien man das eigene
Leben gestaltet und wie man zu diesem steht.
Rainer
Raasch
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